Rechtliche Rahmenbedingungen von Bürgerbeteiligung der Bundesländer
Öffentlichkeitsbeteiligung geschieht in einem rechtlichen und administrativen Rahmen. Dieser Rahmen hat zentralen Einfluss darauf, wie ein Beteiligungsverfahren ausgestaltet wird. Im Folgenden werden die sechs untersuchten Kategorien von Rahmenbedingungen vorgestellt und ihre spezifischen Auswirkungen, die sich letztlich in den angepassten Partizipationsmodellen widerspiegeln, näher erläutert. Erläuterungen zu den Einzelheiten finden sich im PDF-Dokument „Anpassung des Partizipationsmodells inkl. Typisierung und Clusterung“, in dem auch die vollständigen Angaben der verwendeten Quellen enthalten sind.
Kategorie A – Gebietsfestlegung im Regionalplan
In Kategorie A werden die Vorgaben der Landesebene, wie die Gebietsfestlegung im Regionalplan zur planerischen Steuerung des Windenergieausbaus umgesetzt werden sollte, in den Blick genommen. Kategorie A impliziert folglich nur dann Auswirkungen, wenn sich das in Rede stehende Beteiligungsverfahren auf eine Planung bezieht, die Aussagen zum Bau von Windenergieanlagen beinhaltet. § 7 Abs. 3 ROG kennt drei hier relevante Instrumente – Vorrang-, Vorbehalts- und Eignungsgebiete – sowie die Möglichkeit Vorranggebiete mit der Wirkung von Eignungsgebieten auszustatten.
Typ 1 Sehr restriktiv
Im ersten Typ werden diejenigen Vorgaben zusammengefasst, die nur ein Instrument zulassen, und zwar eines, das in seinen Aussagen sehr restriktiv ist. Es handelt sich dabei um Vorranggebiete mit der Wirkung von Eignungsgebieten und Vorranggebiete mit Ausschlusswirkung. Eine solche regelungsintensive Festlegung eröffnet nur wenige Spielräume bei der Konkretisierung auf unterer Ebene. Im Rahmen einer Öffentlichkeitsbeteiligung auf Ebene der Bauleitplanung sind die Gestaltungsmöglichkeiten hier entsprechend sehr eingeschränkt, da der Bau von Windenergieanlagen von vorneherein nur in wenigen Gebieten überhaupt möglich ist.
Typ 2 Mittelmäßig restriktiv
Eine mittlere Regelungsintensität weisen solche Instrumente auf, die ihre Wirkung nur nach innen oder nur nach außen entfalten. Es handelt sich dabei also um Vorgaben, die entweder Vorranggebiete oder Eignungsgebiete favorisieren. Dies ist bei drei Bundesländern der Fall: Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen setzen auf Vorranggebiete, während in Brandenburg mit Hilfe von Eignungsgebieten geplant wird. Bürgerinnen und Bürger können in einem Beteiligungsverfahren dieses Typs im Rahmen der Bauleitplanung zumindest partiell zur Ausgestaltung Stellung beziehen: Bei festgelegten Vorranggebieten zu verschiedenen Standortalternativen im gesamten restlichen Geltungsbereich und bei Eignungsgebieten zumindest in Bezug auf die Gewichtung der Windenergienutzung im Gegensatz zu anderen potenziellen Nutzungen.
Typ 3 Wenig restriktiv
Am wenigsten restriktiv sind Vorgaben, die den für die Regionalplanung zuständigen Stellen das Instrument Vorbehaltsgebiet zur Verfügung stellen. Dies ist sowohl in Bayern als auch in Niedersachsen der Fall, wo Vorbehaltsgebiete neben anderen Festlegungsmöglichkeiten genannt werden.
Kategorie B – Flächenkulisse
Kategorie B setzt an im Raum vorfindlichen schutzwürdigen Elementen und Strukturen an, die wiederum juristisch-administrative Einschränkungen nach sich ziehen. Da diese vielfältig sind, wird die Einordnung an einem Beispiel, dem Umgang mit FFH-Gebieten, deutlich gemacht.
Typ 1 Sehr restriktiv
Sehr restriktiv und damit den Spielraum für die Planung von Standorten für Windenergieanlagen stark einschränkend sind Vorgaben, die die Freihaltung von FFH-Gebieten zum Normalfall machen. Hier wird, wie im Fall des Saarlandes, davon ausgegangen, dass der Bau von Windenergieanlagen im Allgemeinen der Idee des Schutzes von Natur und Landschaft in diesen Gebieten zuwiderläuft. Nichtsdestotrotz sind auch bei Vorgaben nach Typ 1 Ausnahmen in Einzelfällen denkbar.
Typ 2 Mittelmäßig restriktiv
Keinerlei Regelvermutung trifft das Land Rheinland-Pfalz zum Umgang mit FFH-Gebieten – weder die Einbeziehung noch der Ausschluss von FFH-Gebieten in die Windenergieplanung wird als Regelfall benannt. Stattdessen werden ausdifferenzierte Vorgaben gemacht, die sich unter anderem an den im spezifischen FFH-Gebiet vorkommenden Tierarten orientieren. Beispielsweise wird für Gebiete mit windkraftempfindlichen Fledermausarten der Ausschluss empfohlen.1 Aus diesem Grund wird Rheinland-Pfalz in einen mittleren Typ zwischen Typ 1 und Typ 3 eingeordnet, der eine differenzierte Anpassung des Partizipationsmodells erfordert.
1 Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung; Ministerium der Finanzen; Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten; Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur (Hg.) 2013: S. 33 f.
Typ 3 Wenig restriktiv
Prinzipiell als potenzielle Standorte für Windenergieanlagen einbezogen werden FFH-Gebiete in Bundesländern des Typs 3. Gleichzeitig wird auf die naturschutzrechtlichen Regelungen verwiesen, die durch die Vorgaben auf Landesebene nicht berührt werden. Eine solche Vorgabe findet sich beispielsweise in Brandenburg oder in Sachsen-Anhalt und eröffnet der Planung grundsätzlich eine größere Anzahl an Standortalternativen als diejenigen in Typ 1 und Typ 2.
Kategorie C – Behördenorganisation
Bei der Behördenorganisation unterscheiden sich die Länder signifikant. Für das Partizipationsmodell ausschlaggebend sind die Verortung der Zuständigkeit für die Flächennutzungsplanung, die Zuständigkeit für die Regionalplanung und die immissionsschutzrechtliche Genehmigung.
Typ 1 Hoher Einfluss höherer Ebenen
In Typ 1 hat die höhere Ebene einen hohen Einfluss auf den Verfahrensablauf. So liegt der Einfluss der höheren Behörden in der Flächennutzungsplanung darin begründet, dass diese selbst zuständig sind. In Rheinland-Pfalz findet die Flächennutzungsplanung bereits auf Ebene der Verbandsgemeinde statt, während die Ortsgemeinden diese nicht selbst durchführen (§ 67 Abs. 2 GemO RP). Die Regionalplanung liegt allein in Schleswig-Holstein beim Land (§ 4 LPlG SH), während auf der Ebene der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung in anderen Bundesländern bereits eine Zuständigkeit auf Landesebene besteht (bspw. Niedersachsen und Thüringen).
Typ 2 Mittlerer Einfluss höherer Ebenen
Typ 2 prägt ein mittlerer Einfluss höherer Ebenen. Es existiert zum einen im Gegensatz zu Typ 1 und 3 überhaupt eine mittlere Ebene im Behördenaufbau, die die Aufgaben der Regionalplanung wahrnimmt. So sind beispielsweise in Nordrhein-Westfalen die Regionalräte (sowie der Regionalverband Ruhr) für die Regionalplanung zuständig. Eine vergleichbare Verwaltungsebene existiert in Schleswig-Holstein (Typ 1) und Niedersachsen (Typ 3) nicht. Neben der Regionalplanung gibt es auch Bundesländer, die die immissionsschutzrechtliche Genehmigung auf diese Ebene verlagern, so sind bspw. in Hessen die Regierungspräsidien zuständig.
Typ 3 Geringer Einfluss höherer Ebenen
Im Gegensatz zu Typ 1 und 2 hat bei Typ 3 die höhere Ebene nur einen geringen Einfluss auf den Verfahrensablauf, da untergeordnete Behörden originär zuständig sind. Die Flächennutzungsplanung führt in Bayern die Gemeinde selbst durch, eine zuständige ober- oder untergeordnete Gemeindeorganisation existiert abweichend von Typ 1 nicht. Die Regionalplanung (§ 20 LPLG NI) und die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung kann ebenfalls auf die untere Ebene verlagert werden.
Aus Beteiligungssicht ist entscheidend, aufkommende Konflikte direkt vor Ort zu lösen. Ist die Regionalplanung beispielsweise beim Kreis angesiedelt, ist der Zugriff auf die Herausforderungen und Konflikte im Gegensatz zu einer Zuständigkeit des Landes selbst erleichtert. Die Hemmschwelle der Bürger sinkt, die zuständigen Ansprechpartner zu kontaktieren. Allerdings darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass eine höhere Verwaltungsinstanz auch als „neutraler“ wahrgenommen werden kann als die Verwaltungsinstanz vor Ort. Hierfür scheint der jeweilige Konflikt ausschlaggebend zu sein.
Kategorie D – Einbeziehung von Handlungsempfehlungen der Landesebene zur Beteiligung
Neben der im Gesetz vorgeschriebenen Öffentlichkeitsbeteiligung gibt es Bundesländer, die Handlungsempfehlungen für die Ausgestaltung der Beteiligung der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Im Folgenden werden dabei drei Typen unterschieden: Typ 1 sind Bundesländer, welche Leitlinien für die Öffentlichkeitsbeteiligung zu Verfügung stellen. Die Bundesländer des Typs 2 verfügen über Leitlinien für eine wirtschaftliche Beteiligung und Bundesländer des Typs 3 verzichten auf Leitlinien. Doppelnennungen sind dabei möglich. Die Auswertung wurde auf Handlungsempfehlungen und Leitlinien der Bundesländer beschränkt, nicht inbegriffen sind demnach Veröffentlichungen anderer im jeweiligen Bundesland gelegener Stellen und Institutionen.
Typ 1 Leitlinien für die Öffentlichkeitsbeteiligung
Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen stellen umfangreiche Veröffentlichungen von Leitlinien für die Öffentlichkeitsbeteiligung zur Verfügung. Diese gehen über die Beschreibung und Erläuterung der formellen Beteiligungsverfahren hinaus. Sie beinhalten weitere Methoden, Verfahren, Möglichkeiten sowie Kompetenzen für eine gelingende Öffentlichkeitsbeteiligung und zeigen gelungene Beispiele auf.1 Zur Stärkung der Bürgerbeteiligung wurde in Baden-Württemberg ebenfalls das neue Amt der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung eingerichtet.2
1 Vgl. Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg 2012: S. 3; vgl. Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen o.J.: S. 8 ff.
2 Vgl. Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg 2012: S. 5
Typ 2 Leitlinien für die wirtschaftliche Beteiligung
Leitlinien für die wirtschaftliche Beteiligung werden durch die Bundesländer Baden- Württemberg1, Hessen2, Mecklenburg-Vorpommern3 und Rheinland-Pfalz4 zur Verfügung gestellt. Diese beschreiben beispielsweise Möglichkeiten der finanziellen Wertschöpfung für die Gemeinden, verschiedene Organisationsformen dieser und den Projektablauf.5 Auch Brandenburg thematisiert das Thema Bürgerenergieanlagen, legt jedoch nicht den Schwerpunkt seiner Leitlinien auf die finanzielle Beteiligung.6
1 Vgl. Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden- Württemberg 2012: S. 5 ff.
2 Vgl. Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung 2015: S. 17 ff.
3 Vgl. Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung Mecklenburg-Vorpommern 2016 S. 6 ff.
4 Vgl. Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz Energie und Landesplanung Rheinland Pfalz 2013: S. 46 ff.
5 Vgl. Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung Mecklenburg-Vorpommern 2016: S. 6 ff.
6 Vgl. Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg o.J.: S. 1
Kategorie E – Einflussmöglichkeiten durch Bürgerentscheide auf Verfahren
Bürgerentscheide sind in solchen Angelegenheiten zulässig, die der Zuständigkeit der Gemeinde unterfallen, für die also beispielsweise der Gemeinderat oder die Bezirksversammlung zuständig ist. Einige Bundesländer nehmen die Selbstverwaltungsangelegenheit der Bauleitplanung von der Zulässigkeit von Bürgerentscheiden aus, wohingegen andere diese für zulässig erklären oder beschränken.1
1 Zur Frage der Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Baugesetzbuches siehe Kaup, Kathrin 2014: Bürgerbegehren und Bürgerentscheid zu Fragen der Bauleitplanung: Eine Prüfung der Vereinbarkeit mit den Vorschriften des Baugesetzbuches, Dissertation.
Typ 2 Mittlerer Einfluss auf die Bauleitplanung
Für die Bauleitplanung haben Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein einen Mittelweg gewählt. Bürgerentscheide sind hier nur zum Aufstellungsbeschluss zulässig, nicht aber im weiteren Verfahrensverlauf. Der Einfluss der Bürgerentscheide kommt daher zu einem frühen Zeitpunkt noch zum Tragen.
Große Einflussmöglichkeiten durch die Zulässigkeit von Bürgerentscheiden eröffnen der Beteiligung im Partizipationsmodell neue Möglichkeiten. Die Bundesländer, in denen die Bauleitplanung Gegenstand eines Bürgerentscheids sein kann, ermöglichen den Bürgern einen direkteren Einfluss auf die Planungsverfahren.
Kategorie F – Ausbauziele für Erneuerbare Energien in Landesentwicklungsplänen
Die Bundesländer können in ihren Landesentwicklungsplänen oder -programmen Vorgaben für Ausbauziele der Erneuerbaren Energien als Ziele oder Grundsätze der Raumordnung aufnehmen (vgl. Tabelle 1: Einordnung der Bundesländer in die Kategorien und Typen). Von dieser Möglichkeit machen die Bundesländer sehr unterschiedlich Gebrauch.
Typ 1 Sehr restriktiv
Bundesländer, die dem Typ 1 zugeordnet sind, haben in ihren Landesentwicklungsplänen spezifische Ausbauziele für Erneuerbare Energien in Hektar für jede einzelne Region festgelegt. Bislang ist dies nur in Nordrhein-Westfalen der Fall (vgl. G 10.2.-3 LEP NW, Stand Dezember 2018).
Typ 3 Wenig restriktiv
Allein auf die Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien zielen bspw. Baden- Württemberg, Bayern und Brandenburg. Spezifische Flächenvorgaben in Hektar oder Prozentangaben der Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien finden sich in diesen landesweiten Raumordnungsplänen nicht.
Beispielhafte Einordnung von Landkreisen in die Kategorien
Zwei Landkreise in Brandenburg Wenige Restriktionen und geringer Einfluss höherer Ebenen Ein Landkreis in Mecklenburg-Vorpommern Wenige Restriktionen mit hohem Einfluss höherer Ebenen Zwei Landkreise in Nordrhein-Westfalen Mittelmäßig restriktiv und geringer Einfluss höherer Ebenen